Cover
Titel
Jakob Ruf Ein Zürcher Stadtchirurg und Theatermacher im 16. Jahrhundert.


Herausgeber
Keller, Hildegard Elisabeth
Reihe
Leben, Werk und Studien 1
Erschienen
Zürich 2006: Chronos Verlag
Anzahl Seiten
301 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Francisca Loetz, Institut fuer Sozial- und Wirtschaftsgeschichte

Die Buchdeckel in sattem Dunkelblau, zusammengehalten von einem Buchrücken in griffigem naturfarbenen Leinen, laden ein, dieses Buch in angenehmem Format in die Hand zu nehmen. Innen ziehen Vorsatzblätter den Blick der Leserinnen und Leser an sich. Sie leuchten in demjenigen Grüngelb, das bereits auf dem Buchdeckel im Titel und der Illustration zu sehen war. Ein kräftiges Rot dient als optisches Leitmotiv im gesamten Band. Jedes Kapitel ist mit einem Trennblatt und verzierenden Illustrationen in eben diesem Rot abgesetzt. Auch das Kapitalbändchen nimmt dieses Rot wieder auf. Das Buch ist künstlerisch und typografisch durchgestaltet. Nur noch ein Lesebändchen – natürlich in passender Farbe und Textur – und der sinnliche Genuss an dem 1. Band von 5 Bänden zum Leben und Werk Jakob Rufs wäre noch grösser.

Mit Jakob Ruf stellt der Band eine schillernde Persönlichkeit des Zürichs der Reformationzeit vor, die am Schnittpunkt von Medizingeschichte, Theaterwissenschaft und Geschichte anzusiedeln ist. Der biografischen Einführung folgen die Texte und Abbildungen einer im Zürcher Strauhof 2006 gezeigten Ausstellung zu Ruf. Sie werden ergänzt um ein Werkverzeichnis des zu seiner Zeit bekannten und zwischenzeitlich in Vergessenheit geratenen Chirurgen, Theaterautors und überzeugten Protestanten. Im Anhang finden sich korrekt edierte archivalische Quellen zum Leben Rufs sowie eine umfassende Bibliografie. Ergänzt wird der Text durch eine Audio-CD, auf der die meisten Hörstationen der Ausstellung festgehalten sind. Somit erfüllt der Band verschiedene Funktionen: er dokumentiert die Ausstellung und bereichert sie durch Material, das die Ausstellung überfrachtet hätte.

Der Band überzeugt aus mehreren Gründen: Die Biografie besteht aus neun von fünf Autorinnen und Autoren – von einem interdisziplinären Team des SNFProjekts «Jakob Rufs Theater- und Heilkunst» – geschriebenen Teilen. Die vierzig über Querverweise miteinander verlinkten und thematisch in alphabetischer Ordnung abgedruckten Lemmata samt der zahlreichen Abbildungen in Schwarz-Weiss sind von Fachexperten sowie von Studierenden des Deutschen Seminars der Universität Zürich erstellt. Es ist wohl einer gründlichen Redaktion sowie der eindrücklichen Organisationsleistung der Herausgeberin und Germanistin Hildegard Keller zu verdanken, dass diese Vielfältigkeit nicht zu Heterogenität wird. Vielmehr wirkt der Band – von einigen Passagen abgesehen – sprachlich wie auch argumentativ in sich geschlossen. Die biografische Einführung ist klug angelegt. Statt einer konventionellen Chronologie zu folgen, schlüsselt die Biografie Leben und Werk Jakob Rufs von seinen Tätigkeitsfeldern her auf. Der Werdegang Rufs wird kontextualisiert, indem er, soweit möglich, mit demjenigen von Zeitgenossen verknüpft wird. Somit entfällt die übliche Dramaturgie von Geburt, Ehe und Tod des Helden. Ruf wird zu einer Persönlichkeit, die für zentrale Themen der Frühneuzeitforschung steht: Reformation, chirurgische Medizin, öffentliches Theater. Themen, die allzu gerne klischeeartig vorgestellt werden. Hier tut sich der Band erfreulicherweise durch behutsame Quelleninterpretationen und differenzierte Rezeption des Forschungsstandes hervor.

Wer so viele Felder berührt, muss über die Grenzen des eigenen Fachs hinausgehen und Risiken eingehen. Die Reformation als «Revolution» zu bezeichnen, ist aus Perspektive der Geschichtswissenschaft voreilig. «Man» hat nicht bei Frosch auer Wurst gegessen und dadurch die Zürcher Reformation eingeläutet. «Kulturelle Logiken» sind für die Kulturwissenschaften ein vertrautes (und umstrittenes) Stichwort, werden sie aber hier tatsächlich fassbar? Medizingeschichtlich wiederholen die Abbildungen zum Hebammenwesen und zur Wundarznei Bekanntes, die Rede von der Unreinheit des chirurgischen Berufs wäre stärker als Topos zu kennzeichnen gewesen. Die Abbildungen werden nicht als Quellen interpretiert, sondern dienen als Illustration zu den langen Tafeltexten der Ausstellung. Das sind keine gewichtigen Einwände gegen den Band, der den Mut aufbringt, etwas zu wagen: Zu wagen eine bislang unterschätzte Zürcher Persönlichkeit vorzustellen, indem bisherige Erkenntnisse über sie revidiert und durch systematische Suche in den Archiven um neue Erkenntnisse vervollständigt werden. Zu wagen, sich dabei zwischen den Fächern zu bewegen und Menschen aus verschiedenen Ressorts gezielt in Bewegung zu setzen: Fachexpertinnen und Fachexperten, Nachwuchsforschende, Studierende, Sprecher, Gestalterinnen. «Jakob Ruf? Nie gehört!» Dank dieses Bandes wird es wohl bald heissen: «Ruf? Nicht nur gelesen, sondern auch gehört!»

Zitierweise:
Francisca Loetz: Rezension zu: Jakob Ruf, ein Zürcher Stadtchirurg und Theatermacher im 16. Jahrhundert. Bd. 1, hg. von Hildegard Elisabeth Keller, unter Mitarbeit von Andrea Kauer und Stefan Schöbi. Zürich, Chronos, 2006. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 56 Nr. 4, 2006, S. 475-477.

Redaktion
Autor(en)
Beiträger
Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 56 Nr. 4, 2006, S. 475-477.

Weitere Informationen